Titelbild © Frank Wunderatsch

Coburg – am alten Güterbahnhof


Für viele ist das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs eine Industriebrache oder ein Schandfleck im Coburger Süden. Dabei ist dieses Areal sowohl in wirtschaftlicher, technologischer, sozialer und verkehrstechnischer Hinsicht von hoher historischer Bedeutung für die Stadt Coburg.

Bereits 1858 eröffnete am heutigen Personenbahnhof in der LossaustraІe eine Güterverladestelle. Als in den 1890er Jahren diese ihre Kapazitätsgrenze erreichte, suchte die königlich-preußische Eisenbahn einen neuen Standort und fand ihn im Coburger Süden. Gleich in der Nähe befanden sich bedeutende Betriebe wie das Hofbrauhaus, der Schlachthof oder die Städtischen Werke. 1903 Öffnete der neue Güterbahnhof dort seine Pforten. Coburger Firmen und Fuhrunternehmen folgten nach und erbauten dort ihre Lagerhäuser und Depandancen. Die Bahn richtete zudem soziale Bereiche auf dem Gelände ein, wie ein Übernachtungsgebäude für auswärtige Eisenbahner mit eigenen Duschräumen oder eine Kantine.

Technisch befand sich der Güterbahnhof mit zwei Stellwerken, einem Wasserturm und Lokomotivschuppen auf dem modernsten Stand. Neben der Bahn beteiligten sich auch Stadt und Land Coburg am Aufbau dieser Einrichtung. Das Herzogtum errichtete beispielsweise am Eingang zum Güterbahnhofsgelände ein Zollamt, das heute noch besteht. Das Bahnareal selbst war zollfrei. Gearbeitet wurde im Zweischichtsystem Tag und Nacht, sehr zum Leidwesen der Bewohner des Coburger Südens, welche die ständigen Rangierarbeiten auch nachts lautstark mitbekamen. Gerade diese Arbeiten waren sehr gefährlich und konnten einen tödlichen Ausgang haben. Während der Betriebszeit des Güterbahnhofs kamen insgesamt 8 Bahnarbeiter bei Arbeitsunfällen ums Leben.

In der Folge siedelten sich auf und um das Güterbahnhofsgelände Firmen an. Die bestehenden Betriebe wie der Schlachthof und die SÜC erhielten 1938 bzw. 1950 eigene Anschlussgleise. Der Güterbahnhof entwickelte sich dadurch immer mehr zu einer der Lebensadern Coburgs. 1911 kamen hier 53.000 Tonnen Kohle für die Wärmeversorgung der Stadt an. Es folgten Baustoffe und Lebensmittel. Die Umschlagszahlen stiegen und erreichten 1929 ihren Höhepunkt, als täglich 480 bis 500 Waggons den Güterbahnhof anfuhren. Das Areal musste ständig erweitert werden. Mit der letzten Vergrößerung 1939 umfasste das Güterbahnhofsgelände 8,6 Hektar.

Durch die deutsche Teilung ab 1945 und dem Strukturwandel im Verkehrswesen verlor das Areal trotz Modernisierungsmaßnahmen wie der Elektrifizierung des Streckennetzes oder der Umwandlung zu einem Containerumschlagplatz nach und nach an wirtschaftlicher Bedeutung. Teilweise wurden nicht mehr benutzte Gebäude auch abgerissen. Im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen schloss die Deutsche Bahn AG 1997 die Anlage. Aus einer Ökonomischen Innovation wurde schließlich ein Industriedenkmal.

Die Historische Gesellschaft Coburg e.V. und das Staatsarchiv Coburg zeigten im vergangenen Jahr die Ausstellung „Coburg Gbf., 1901-1997“. Sie führt anhand zahlreicher historischer und aktueller Fotografien sowie ausgewählter Dokumente die Geschichte des Areals lebendig vor Augen.

Schon kurz nach Eröffnung des Güterbahnhofs 1903 zog das Gelände diverse Firmen an, die dort investierten. Sie errichteten Lagerhäuser und -plätze, die als Dependancen in Bahnhofsnähe dienten. Die Nachfrage nach geeigneten Lagerstätten stieg mit den Jahren. 1955 bestanden 30 Lagerhäuser und -plätze.

Pionier der ersten Stunde

Als einer der ersten Unternehmer errichtete der Kaufmann Gustav Müller im Jahre 1903 auf dem Güterbahnhofsgelände einen eigenen Betrieb, welcher vom Jugendstilarchitekten Otto Leheis entworfen wurde. Er unterhielt dort eine Glasgroßhandlung mit Mineralmühle und stellte chemische Produkte sowie Tafelglas her. 2012 ging das Unternehmen in Insolvenz. Die Betriebsstätte übernahm die Glaserei Bernd Späth.

Von der Außenstelle zur Firmenzentrale

Die 1909 gegründete Eisenwarengroßhandlung Max Carl unterhielt seit 1911 ein eigenes Lagerhaus auf dem Güterbahnhofsgelände. In den folgenden Jahren expandierte die Firma dort und errichtete mehrere Lager für Carbid, Stabeisen und Eisenträger.

Schließlich verlegte das Unternehmen 1981 seinen Sitz vollständig dorthin und expandierte am südlichen Ende des Bahnareals in Richtung Wassergasse. Von den früheren Lagerhäusern ist heute nur noch das hier gezeigte Gebäude erhalten.

Brot für Arbeiter

Der 1906 gegründete Bezirkskonsumverein Coburg errichtete zwischen 1927 und 1930 am Südende des Sonntagsangers eine Großbäckerei mit Zentrallager. Die Vereinsmitglieder aus dem Arbeitermilieu sollten dadurch mit billigen Lebensmitteln versorgt werden. Der Verein strebte nach einem eigenen Anschlussgleis und besaß am Güterbahnhof ein Lagerhaus. Im Dritten Reich wurde der Verein aufgelöst und seine Gebäude der Wehrmacht als Heeresbäckerei zur Verfügung gestellt.

Andere Firmen siedelten sich komplett auf dem Bahngelände an und bauten dort ihre Existenz auf. Dies geschah branchenübergreifend. Als besonders attraktiv erwies sich das Areal ür Lebensmittelgroßhändler und Rohstoff verarbeitende Unternehmen. Auch im Umfeld ließen sich neue Industriebetriebe nieder, etwa am südlichen Sonntagsanger oder an der Wassergasse. Die Itz als natürliche Barriere hemmte jedoch weitere Ansiedlungen in Bahnhofsnähe.

Das erkannte die Stadt Coburg und forcierte bereits 1922 den Bau einer Brücke als Erweiterung zur heutigen Karchestraße. Dadurch sollte das Gebiet südlich des Ketschenangers ebenfalls vom Bahnareal profitieren und für Investoren interessant werden. Doch die Bahn lehnte eine weitere Verkehrsanbindung ab. Es blieb bei der eingeschränkten Strahlkraft.

Mit dem Bedeutungsverlust des Güterbahnhofs verschwand auch das Interesse, sich in Bahnhofsnähe niederzulassen oder eine Dependance zu gründen. Viele Lagerstätten wurden in den 1970er und 1990er Jahren abgerissen, so dass heute nur noch zehn Lagerhäuser und ein Lagerplatz existieren. Von den Industriebetrieben, die sich einst dort ansiedelten, besteht heute noch die Eisengroßhandlung Max Carl.

Made in Coburg

Die 1858 gegründete Coburger Hofbräu AG verfolgte von Anfang an das Ziel, ihr Bier in andere deutsche Staaten zu exportieren. In der Hochphase der Industrialisierung kam auch ein Kontakt in die USA zustande, so dass 1913 Bier im Wert von 124.028 US-Dollar exportiert wurde. Der Güterbahnhof war daher für die Vertriebspolitik der Hofbräu AG geradezu ideal. Mit der deutschen Teilung und dem Verlust eines Großteils des Absatzgebietes ging der Niedergang der Brauerei einher, die 1982 geschlossen wurde.


Mohr / Ausgabe 224 – Alte Pakethalle am ehemaligen Güterbahnhof